Die Langzeiterwerbslosigkeit – ca. 840 000 aktuell betroffene Personen – ist eine besonders gravierende Folge der nach wie vor bestehenden Massenerwerbslosigkeit. Liegt die offizielle Arbeitslosigkeit bei über 2,3 Mio., liegt sie tatsächlich bei 3,3 Mio. – knapp 950 000 Erwerbslose werden nicht als arbeitslos gezählt. Gemessen an der Anzahl der offiziell bei der BA gemeldeten zu besetzenden Stellen (784 000) kommen vier Bewerber*innen auf eine freie Stelle.
Zur Senkung der Massenarbeitslosigkeit schlagen wir ein Investitions- und Zukunftsprogramm im Umfang von ca. 120 Mrd. Euro vor – bei Bund-, Ländern- und Kommunen. Ein Finanzierungskonzept dafür haben wir vorgelegt. Mit diesem Programm wird die öffentliche Infrastruktur bedarfsgerecht und zukunftsfähig ausgestattet – vor allem wird mit den dabei geschaffenen Stellen die (‚normale‘) Massenarbeitslosigkeit reduziert. Auf dieser Basis verbessern sich auch die Chancen der Langzeiterwerbslosen. Dennoch bedarf es ergänzender Maßnahmen.
Viele Langzeiterwerbslose haben sehr individuelle Bedarfe hinsichtlich Qualifikation und Betreuung. Die drastischen Kürzungen in der Arbeitsmarktpolitik bei den hierfür vorgesehenen Mittel kritisieren wir seit Jahren. Sie sind ein wesentlicher Grund für die nach wie vor hohe Langzeiterwerbslosigkeit und müssen deshalb zurückgenommen werden.
Hinzu kommt die Unterfinanzierung der Verwaltung der Jobcenter durch den Bund. Im Jahr 2018 wird sie sich auf voraussichtlich 1 Mrd. steigern. Zur Deckung dieser Lücke greifen die Jobcenter auf die Mittel zur Eingliederung zurück. Das mindert die Mittel zur Bekämpfung der Langzeiterwerbslosigkeit nochmals. DIE LINKE beantragt deshalb im Haushalt eine zusätzliche Mrd. zur Schließung dieser Lücke.
Das im Koalitionsvertrag vorgesehene Regelinstrument zur Integration Langzeiterwerbsloser halten wir für einen längst überfälligen Schritt in die richtige Richtung. Unser Konzept sieht vor, dass es sich bei den Stellen um neue, zusätzliche Beschäftigung handelt. Private Gewinnaneignung ist somit ausgeschlossen – damit entsteht auch keine Konkurrenz zur freien Wirtschaft.
Das Credo, sozial sei, was Arbeit schafft, kritisiert DIE LINKE vehement. Für uns gilt stattdessen: Wichtig ist, was GUTE Arbeit schafft. Deshalb muss die Entlohnung den tariflichen Regelungen entsprechen (sofern vorhanden) bzw. dem Mindestlohn. Dieser ist von derzeit 8,84 Euro/h auf 12 Euro anzuheben; denn 8,84 Euro/h schützen weder vor Armut trotz Arbeit und ebenso wenig vor Altersarmut.
Bereits zu Anfang der 2000er hat die damals im Land Berlin in Regierungsmitverantwortung stehende LINKE einen öffentlich geförderten Beschäftigungssektor zur praktischen Umsetzung gebracht. Auf Bundesebene bringen wir seitdem in jeder Legislaturperiode einen an die aktuellen Erfordernisse angepassten Antrag ein.
Dass nun die Große Koalition einen „Sozialen Arbeitsmarkt für langzeitarbeitslose Bürgerinnen und Bürger“ einrichten möchte, nehmen wir als Beleg dafür, dass unsere Vorschläge in aller Regel alles andere als populistisch oder nicht finanzierbar sind – wohl aber: schlicht notwendig, um bestehende Probleme zu lösen. Damit sie umgesetzt werden, braucht es Geduld und einen langen Atem. Genau hierin sehe ich meine und die Aufgabe der LINKEN.
Anstatt Menschen dauerhaft in irgendwelchen Maßnahmen zu parken, sollten wir bei jedem Einzelnen trotz aller Schwierigkeiten im Einzelfall an dem Plan festhalten, sie oder ihn endlich aus der Abhängigkeit wieder herauszubekommen und den Einstieg in den echten Arbeitsmarkt zu ermöglichen. Konzepte wie das „solidarische Grundeinkommen“ von Michael Müller werden uns dabei nicht weiterbringen. Diese Wiedereinführung der Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen wäre fatal und ist in Wahrheit auch nur eine riesige Projektionsfläche. Arbeitsmarktforscher denken noch heute mit Grauen an die Arbeitsbeschaffungsmaßnahme in den 1990er Jahren, die einer Beschäftigungstherapie in Dauerschleife glichen. Das hat den Menschen nicht geholfen, sondern geschadet. Entscheidend ist, dass wir unseren Sozialstaat konkret fairer machen. Das erfordert drei Schritte:
Erstens benötigen wir dringend eine Reform der Zuverdienstregeln in der Grundsicherung. Die aktuelle Gesetzeslage ist unfair und legt denen, die sich anstrengen, Steine in den Weg. Denn oft gelingt der Wiedereinstieg in den Arbeitsmarkt schrittweise. Wer aber zum Beispiel ein paar Stunden in der Waschstraße arbeitet, seinen Job gut macht und später gefragt wird, ob er mehr arbeiten möchte, stellt fest, dass er dann von jedem mehr verdienten Euro 80 Cent abgeben muss. Dann hat man trotz Mehrarbeit kaum mehr Geld im Portemonnaie. Nimmt man andere Sozialleistungen hinzu, sind sogar Konstellationen denkbar, in denen mehr Arbeit zu weniger Geld führt. Das ist grotesk und demotivierend. Das Gegenteil wäre richtig. Wer sich anstrengt, verdient unsere besondere Unterstützung.
Zweitens sollten wir Regeln vereinfachen und einen besseren digitalen Bürgerservice auch für Sozialleistungen einführen. Das würde auch die Jobcenter-Mitarbeiter entlasten, die sich dann auf ihre eigentliche Aufgabe, die Integration in den Arbeitsmarkt, konzentrieren könnten – eben um die Menschen wieder finanziell auf eigene Beine zu bringen. Einfachere Regeln hieße aber auch, die unterschiedlichen Sozialleistungen zu vereinheitlichen beziehungsweise diese miteinander zu verzahnen Derzeit kann es passieren, dass bedürftige Menschen vom Jugendamt einen Unterhaltsvorschuss, von der Familienkasse einen Kinderzuschlag, von der kommunalen Wohngeldstelle Wohngeld und vom Jobcenter Arbeitslosengeld II sowie noch einmal separat Leistungen des Bildungs- und Teilhabepakets erhalten. Alles mit unterschiedlichen Anrechnungsregeln, Mitwirkungspflichten, Bewilligungszeiträumen und so weiter. Da müssen wir dringend die Strukturen vereinfachen.
Und drittens müssen wir mehr für die Weiterbildung der Menschen tun und allen das Versprechen geben, beim digitalen Wandel mithalten zu können. Hier würde ich von der Regierung ein mutiges und schlüssiges Gesamtkonzept für ein wirkliches zweites Bildungssystem für das ganze Leben erwarten. Doch der Arbeitsminister Hubertus Heil scheint das Thema leider mit ein wenig Frickelei an Detailparagraphen und auf der monatlichen Arbeitslosenzahlen-Pressekonferenz abmoderieren zu wollen. Das ist keine Strategie, sondern eine vertane Chance!
Ja, es ist richtig: Für Menschen, die viele Jahre nicht am Erwerbsleben teilgenommen haben, ist es häufig sehr schwierig, den Schritt zurück ins Berufsleben zu bewerkstelligen. Ein Vorschlag ist daher, für diejenigen, die besonders arbeitsmarktfern und somit nur sehr schwer durch die klassischen Instrumente zu erreichen sind, eine besondere Perspektive zu schaffen. Hierbei sollte es in einem ersten Schritt darum gehen, den Menschen über Teilhabe feste Tagesstrukturen, soziale Anerkennung, soziale Bindungen und wichtige soziale Kompetenzen zurück zu geben.
Teilhabe heißt dabei nicht Teilnahme am regulären Arbeitsmarkt, sondern Tätigkeiten in marktfernen, hauptsächlich ehrenamtlichen Bereichen, von denen ein Nutzen für das Gemeinwohl ausgeht. Die öffentliche Hand kann viele dieser Aktivitäten nur begrenzt unterstützen, sie sind aber für den Zusammenhalt unserer Gesellschaft eminent wichtig: Nachbarschaftshilfen etwa, das Engagement für den Umweltschutz, kulturelle Aktivitäten von freien Theaterprojekten bis hin zu Karnevalsvereinen, Vereinssport auf der Amateurebene und vieles andere mehr. Hinzu kommen Tätigkeiten für die öffentliche Infrastruktur, für die es keine Mittel gibt: Etwa für Kiezläufer, die Probleme von Sicherheit und Sauberkeit melden, im Quartiersmanagement, in der niedrigschwelligen Nachbarschaftshilfe. Das ist, anders als die bisherigen Arbeitsgelegenheiten, gerade nicht auf eine schnelle Integration in den ersten Arbeitsmarkt angelegt, sondern hat ausschließlich den Aspekt der Teilhabe zum Gegenstand.
Der Anreiz für den Langzeitarbeitslosen bestünde neben der Möglichkeit der gesellschaftlichen Teilhabe in zusätzlichen Leistungen etwa in Form von kostenloser Nutzung des ÖPNV oder einer Mehraufwandentschädigung. Darüber hinaus sollten während der Teilhabezeit alle weiteren Aktivierungsmaßnahmen der Grundsicherungsstelle ausgesetzt bleiben. Mit anderen Worten: Er bleibt während dieser Zeit aktivierungs- und sanktionsfrei. Diese Teilhabemöglichkeiten sollten eben nur auf die (unterstützte und begleitete) gesellschaftliche Teilhabe abzielen und nicht auf eine Integration in den Arbeitsmarkt.
Aber auch für die anderen Beteiligten wäre ein solches Teilhabemodell lohnend: Es könnte die ehrenamtliche Arbeit vor allem dort unterstützen, wo keine eigenen finanziellen Mittel vorhanden sind, aber auch für ein Plus an Lebensqualität sorgen. Für den Grundsicherungsträger könnte es eine deutliche Verwaltungsvereinfachung darstellen. Während der Dauer der Teilhabe muss keine Aktivierungsmaßnahmen mehr geplant oder vorgenommen werden. Allenfalls müsste einmal im Jahr ein Gespräch mit dem Grundsicherungsträger stattfinden; die Maßnahme selbst könnte ohne Begrenzung immer wieder verlängert werden. Sie wäre damit praktisch unbefristet, anders als die bisherigen Arbeitsgelegenheiten. Vielleicht ergibt sich durch die Teilhabemöglichkeit der Abbau von Vermittlungshemmnissen und eine reale Perspektive, wieder in den ersten Arbeitsmarkt zurückkehren zu können. Die Kosten wären jedenfalls insgesamt überschaubar, der Nutzen für den Einzelnen und die Gemeinschaft aber erheblich. Der Arbeitsmarkt kann einen Einzelnen vielleicht nicht „gebrauchen“, aber für die Gesellschaft muss gelten: Wir brauchen jeden Einzelnen und wollen, dass er teil hat an der sozialen Gestaltung unserer Gemeinschaft.