Es ist eine große Herausforderung für unser Land, für ca. 1,3 Millionen Geflüchtete passende Bildungswege zu finden, um ihnen eine vorübergehende oder dauerhafte Integration zu ermöglichen.
Bis Ende 2016 hat man ca. 700.000 Schutzsuchende im erwerbsfähigen Alter mit uneingeschränkten Arbeitsmarktzugang registriert. Da ca. 70% der arbeitssuchenden Flüchtlinge und ein Drittel der beschäftigten Personen aus den Asylherkunftsländern keine abgeschlossene Berufsausbildung haben, besteht ein hoher Bildungsbedarf. Nur 9% der Geflüchteten haben in ihrer Heimat einen Hochschulabschluss erworben und nur 5% haben eine abgeschlossene Berufsausbildung. Die Allgemeinbildung von Geflüchteten ist also stark polarisiert. Die Mitte des Bildungsspektrums ist schwach ausgeprägt (Quelle: IAB).
Passende Bildungswege sind deshalb kein Selbstläufer – ganz im Gegenteil. Mit der Grundthese, dass der passende Bildungsweg individuell ist, liegt der IB genau richtig. Was für die in Deutschland geborenen und aufgewachsenen Kinder und Jugendlichen grundsätzlich gilt, gilt genauso und durch die besonderen Lebens- und Fluchterfahrungen erst recht für die jungen Flüchtlinge. Wie ist dieser Auftrag nun umzusetzen?
Dazu müssen Bund, Länder, Kommunen, Wirtschaft und Bundesagentur für Arbeit sehr eng zusammenarbeiten. Und wir müssen weitermachen in dem, was wir schon jetzt begonnen haben und ständig verbessern und weiter entwickeln. Dazu möchte ich exemplarisch aufzählen:
Kinder und Jugendliche bis zum Ende der Schulpflicht
Jugendliche in der Ausbildungsphase
Erwachsene nach der Schulpflicht oder Ausbildung
Allgemein
Darüber hinaus finanzieren die Bundesländer zahlreiche Bildungsangebote für Flüchtlinge, wie z.B. Willkommensklassen in den Schulen mit besonderer Förderung oder Sprachkurse in den Erstaufnahmelagern.
Aus diesen vielen Bildungsangeboten müssen die entsprechenden Beratungsstellen das Passende heraussuchen und den Hilfe suchenden Flüchtlingen anbieten.
Bildung ist der Schlüssel zu einer gelungenen Integration der Geflüchteten, die in den vergangenen Monaten in Deutschland angekommen sind – und die heterogenen Bildungsbiografien der Geflüchteten sind eine komplexe Herausforderung für die Integrationspolitik und unser Bildungs- bzw. Ausbildungssystem. Hauptziel unserer Arbeit im Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung, in dem ich als Obmann der CDU/CSU-Fraktion tätig bin, ist es deshalb in Bezug auf Geflüchtete, Bildungsoptionen zu eröffnen und Geflüchtete gezielt zu qualifizieren – für junge wie für erwachsene Geflüchtete, für Geflüchtete, die eine Berufsausbildung anstreben und für solche, die eine Hochschule besuchen wollen.
Hierbei ist es erforderlich, dass geflüchtete Menschen die Angebote finden, die am besten zu ihrem individuellen Bildungsweg passen. Mir ist es deshalb ein wichtiges Anliegen, dass wir Rahmenbedingungen schaffen, die dafür sorgen, dass jede Geflüchtete bzw. jeder Geflüchtete ein passendes Angebot allgemeiner oder berufsbezogener Bildung findet. Des Weiteren bin ich dafür, dass bestehende Strukturen soweit für Geflüchtete geöffnet werden, dass sie so gut wie möglich am normalen Bildungsalltag in Deutschland teilnehmen können. Hier stehen wir vor einer Vielzahl u.a. regulatorischer Herausforderungen, die es gilt, auf Basis unserer bildungspolitischen Grundideen und Leitlinien Schritt für Schritt anzupassen.
In Zusammenarbeit mit dem CDU-geführten Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) haben wir darüber hinaus verschiedenste Maßnahmen auf den Weg gebracht, um die Situation von Geflüchteten spürbar zu verbessern und ihnen den Zugang zu Bildung und Arbeitsmarkt zu erleichtern. Ein Hauptfokus wird dabei auf den Spracherwerb, insbesondere in der frühkindlichen Bildung, gelegt. Das Programm „Lesestart für Flüchtlingskinder“ stellt geeignete Bücher und Medienboxen bereit; gleichzeitig wird daran gearbeitet, ehrenamtliche Lernbegleiter für erwachsene Geflüchtete auszubilden. Mit dem Anerkennungsgesetz hat das BMBF die Grundlage zur Integration auch von Geflüchteten in den Arbeitsmarkt geschaffen, indem vorhandene Berufsqualifikationen flexibel anerkannt werden. Daneben gibt es Programme und Initiativen, die Geflüchteten sowohl den Zugang zu einer Berufsausbildung ermöglichen sollen (u.a. „Initiative Bildungsketten“, „Koordinierungsstellen Ausbildung und Migration“), als auch den Zugang zu Hochschulen öffnen sollen (u.a. Studienkollegs, Finanzierung von Studienplätzen über den Deutschen Akademischen Auslandsdienst). Derzeit gibt es bereits über 400 kommunale Koordinatorinnen und Koordinatoren, die Geflüchtete vor Ort bei der Wahl des individuellen Bildungs- bzw. Qualifizierungswegs unterstützen.
Darüber hinaus fördert die Union als Regierungspartei Bildungsprojekte für Geflüchtete bereits in erheblichem Maße. Wir haben über das BMBF ein Finanzpaket über 130 Millionen Euro geschnürt, das Länder und Kommunen durch den Bund unterstützen soll, Geflüchteten den Zugang zu Bildung und Ausbildung zu ermöglichen. Dies soll in Form von Spracherwerb und der Einschätzung von Potenzialen und Kompetenzen geschehen. Ein weiteres Maßnahmenpaket über rund 100 Millionen Euro soll Geflüchtete darin unterstützen, ein Studium aufzunehmen. Damit stärken wir die Hochschulen als Vorbilder der Willkommenskultur in unserem Land.
Die gegenwärtige Integrationspolitik lebt in der Praxis von dem Engagement der Beteiligten, denn die institutionellen Rahmenbedingungen sind oftmals schwierig und nicht ausreichend. In unserem Positionspapier zu jungen Geflüchteten haben wir die Ausgangslage folgendermaßen dargestellt: „Bislang bestimmt vielerorts der Zufall über die Integrationschancen geflüchteter Mädchen und Jungen. Sei es bei der Möglichkeit, in die Kita oder zur Schule zu gehen, eine ausreichende gesundheitliche Versorgung zu erhalten, Angebote der Jugendhilfe zu bekommen oder auch in Vereinen und bei Freizeitangeboten mitzumachen. Ob sich die Tür zum ganz alltäglichen gesellschaftlichen Leben öffnet oder verschlossen bleibt, entscheidet allzu oft nicht das Recht, sondern der Zufall. Hunderttausende Kinder und Jugendliche leben in unsicheren Verhältnissen. Sie warten auf sichere Aufenthaltstitel, leben in Massenunterkünften ohne Privatsphäre oder ausreichend Spielmöglichkeiten. Sprachkurse, Schulbildung und Ausbildung stehen nicht jedem offen, sondern hängen stark von aufenthaltsrechtlichem Status und dem Angebot vor Ort ab.“ Auch wenn sich dieses Positionspapier schwerpunktmäßig mit der Situation von Minderjährigen beschäftigt, ist die Ausgangslage für junge Erwachsene zwischen 18 und 25 oftmals ähnlich, insbesondere dann, wenn sie auch als Minderjährige nach Deutschland eingereist sind.
Aus Sicht der Bundestagsfraktion sind die folgenden Mängel zentral:
- das Fehlen von altersgerechten Bildungsangeboten, so dass Geflüchtete spezifisch und individuell gefördert werden können;
- das Fehlen von qualifiziertem Fachpersonal und dem entsprechenden Material;
- unzureichende Übergänge aus anderen Hilfeformen wie bspw. der Jugendhilfe in die Selbstständigkeit;
- langwierige Verfahren zur Aufenthaltssicherung, die u.a. dazu führen, dass Geflüchtete versuchen schnellstmöglich eine Arbeit zur Sicherung des Lebensunterhalts aufzunehmen, anstelle zunächst einen Schulabschluss anzustreben.
Eine gute Integrationsinfrastruktur ist ein Gewinn für alle. Für uns Grüne steht immer der einzelne Mensch im Mittelpunkt: ob im Asylverfahren, in Fragen der Unterbringung, bei Schule, Ausbildung oder Beruf oder in der Begleitung von Geflüchteten. Um Geflüchtete individuell unterstützen zu können, braucht es grundsätzlich eine Integrationsinfrastruktur, die tragfähig und so organisiert ist, dass die Geflüchteten die Angebote wahrnehmen können. Die zweite Voraussetzung ist, dass die Integrationsangebote von Beginn an zur Verfügung stehen.
Die grüne Fraktion hat im Kontext der Debatte um die Situation von minderjährigen Geflüchteten explizit auch die Situation von jungen Erwachsenen mit in den Fokus genommen: Junge Geflüchtete, die nicht mehr schulpflichtig sind, wollen wir auf ihrem Weg in die Ausbildung unterstützen. Unser Konzept einer Ausbildungsgarantie gilt selbstverständlich auch für Flüchtlinge. Sie brauchen passgenaue Angebote von der grundlegenden Schulbildung über die Berufsorientierung hin zu betrieblichen Praktika und begleitender Sprachbildung während der Ausbildung. Lernen braucht Zeit und geschützte Räume. Die Unsicherheit über die eigene Zukunft oder gar eine drohende Abschiebung verhindert jeden nachhaltigen Lern- und Integrationserfolg. Auch ausbildungsinteressierte Asylbewerberinnen und Asylbewerber und Geduldete sollen deshalb bereits während ihrer Vorbereitung auf eine duale Ausbildung die Sicherheit erhalten, in Deutschland bleiben zu dürfen (ausführlich: https://www.gruene-bundestag.de/fileadmin/media/gruenebundestag_de/fraktion/beschluesse/junge-fluechtlinge.pdf ).
Aus Sicht der Grünen ist es zentral, dass bei der Unterstützung der Geflüchteten auch weiterhin die Zivilgesellschaft und viele Einzelpersonen engagiert sind.
Die Integration von Flüchtlingen in Gesellschaft und Arbeitsmarkt ist trotz aller Fortschritte der letzten Zeit weiterhin eine große Herausforderung, die wir mit Pioniergeist und Kreativität angehen müssen. Wesentlicher Bestandteil einer umfassenden Strategie zur beruflichen Integration von Flüchtlingen ist die Öffnung der Hochschulen. Etliche Hochschulen haben bereits Strukturen geschaffen, die die Teilhabe von Flüchtlingen am universitären Leben ermöglichen und erleichtern sollen. Besonders hervorzuheben ist ein Pilotprojekt an der Hochschule Magdeburg-Stendal, das in einem anspruchsvollen Programm die Qualifikationen studieninteressierter Flüchtlingen bewertet und geeigneten Studierenden die Möglichkeit gibt, im Rahmen eines zehnmonatigen Intensivkurses die für die Aufnahme eines Studiums notwendigen Deutschkenntnisse auf dem Niveau C1 der Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens für Sprachen zu erwerben (https://www.hs-magdeburg.de/hochschule/aktuelles/detail/single/studium-fuer-fluechtlinge-hochschule-magdeburg-stendal-startet-pilotprojekt.html). Dieses Projekt zeichnet sich dadurch aus, dass es Flüchtlingen den Zugang zum Vollstudium ermöglicht und sie beim Erwerb der dafür vorausgesetzten Qualifikationen unterstützt. Beim Studium der Flüchtlinge werden keinerlei qualitativen Abstriche gemacht.
Der Erwerb von Deutschkenntnissen auf dem Niveau C1 innerhalb von zehn Monaten ist freilich ein anspruchsvolles Unterfangen, das von den Flüchtlingen viel Motivation und ein außerordentliches Engagement abverlangt. Die Finanzierung des Lebensunterhalts während des Intensivkurses ist für die Teilnehmerinnen und Teilnehmer eine zusätzliche Herausforderung. Denn bei vorbereitenden Sprachkursen an der Hochschule handelt es sich nicht um förderfähige Ausbildungen. Ein Anspruch auf Schüler-BaföG besteht nicht, da die Hochschule nicht im Ausbildungsstättenverzeichnis aufgeführt ist. Ein Anspruch auf BaföG besteht ebenfalls nicht, da während der Kursdauer keine Immatrikulation an der Hochschule möglich ist. Daher sind die Teilnehmerinnen und Teilnehmer während der Kursdauer weiterhin regelmäßig auf Leistungen nach dem SGB II angewiesen. Wer jedoch Leistungen nach dem SGB II bezieht, muss nach geltendem Recht dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen. Diese Regelung und der geltende Vorrang von Vermittlung vor Weiterbildung und Qualifizierung stellen die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der JobCenter vor unnötige Probleme bei der Gewährung von Leistungen während der Teilnahme an einem solchen Intensivkurs.
In Magdeburg sind deshalb Absprachen zwischen der Hochschule, dem örtlich zuständigen JobCenter und der Regionaldirektion Sachsen – Sachsen-Anhalt – Thüringen der Bundesagentur für Arbeit erfolgt, die den Leistungsbezug im Rahmen des geltenden Rechts absichern. Während der Dauer der Kurse müssen die Teilnehmerinnen und Teilnehmer dem Arbeitsmarkt nicht zur Verfügung stehen, damit sie sich vollständig dem Spracherwerb widmen können. Das ist sachgerecht, da die Ausübung einer Beschäftigung neben der Teilnahme an einem Intensivsprachkurs kaum denkbar ist. Die Teilnahme wird trotz grundsätzlich geltendem Vermittlungsvorrang gewährt.
Es ist derzeit jedoch nicht gewährleistet, dass diese Handhabe des Leistungsbezugs auch an anderen Hochschulstandorten erfolgen würde. Die finanzielle Absicherung von Teilnehmerinnen und Teilnehmern an vergleichbaren Projekten sollte daher rechtssicher ausgestaltet und gesetzlich verankert werden, sodass die Übertragung der Konzepte der Hochschule Magdeburg-Stendal auf andere Hochschulen und Bundesländer vereinfacht wird. Darauf zielt meines Erachtens auch der Entschließungsantrag der Länder Rheinland-Pfalz, Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen und Schleswig-Holstein im Bundesrat „Zusammenhalt stärken: Flüchtlinge aufnehmen und integrieren – eine gesamt-staatliche Aufgabe in gemeinsamer Verantwortung“ zur 942. Sitzung des Bundesrates am 26. Februar 2016 ab.